15.06.2017 - Griaß di´ Allgäu

Griaß di´ Allgäu

»Der Herr der Instrumente«

Ein alpenländisches Instrument, das jeder sofort spielen kann – ganz ohne musikalische Vorkenntnisse: Das war die Vision von Martin Kern, als er das Klangbrett erfand. Es ist eine Art Hackbrett, das mit den Fingern gezupft wird. Mehrmals jährlich bietet er Interessierten die Möglichkeit, sich ihr Klangbrett in Kursen selbst zu bauen. So entsteht eine besondere Beziehung zum eigenen Instrument.

Es ist noch recht früh am Morgen, als ich meinen Wagen in Eschach parke. Das kleine Dorf gehört zur Gemeinde Buchenberg und liegt auf zirka 1000 Metern Höhe. Bei gutem Wetter hat man hier ein traumhaftes Panorama von der Zugspitze bis zum Säntis. Doch obwohl das Wetter mir heute genau diesen Blick bietet, muss ich nach wenigen Minuten diesen Genuss für die Augen beenden und mich dem eigentlichen Anlass meines Besuches zuwenden.
Kurz darauf öffne ich die Eingangstür der Schreinerei Mayr. Im Inneren ist es kaum wärmer als draußen, dafür zieht mir sofort der Geruch frischen Holzes in die Nase. Noch bevor ich mich in der Werkstatt umsehen kann, eilt ein stämmiger Mann mit Vollbart und Brille auf mich zu. Es ist Martin Kern, Musiklehrer, Komponist, Sozialpädagoge und musikalischer Visionär aus Buchenberg. Ein kräftiger Händedruck zur Begrüßung, dann deutet er auf einen großen Arbeitstisch, um den die anderen Teilnehmer des Kurses versammelt stehen. Nach einer schnellen Vorstellungsrunde geht es los.
Vor uns auf dem Tisch liegen einige Stücke Buchen- und Ahornholz, die bereits zugeschnitten sind. Martin Kern greift behände nach den einzelnen Stücken, legt sie zusammen, tunkt anschließend einen bereitliegenden Pinsel in einen Topf mit Leim und beginnt die Kanten damit zu bestreichen. Während wir anderen ihm dabei noch etwas unentschlossen zuschauen, beginnen Schreinermeister Helmut Mayr und Martin Kerns Sohn David, uns zu helfen. Unter ihrer fachkundigen Anleitung fangen auch wir vorsichtig an, unsere Stücke miteinander zu verbinden. Noch fällt es schwer, in den einzelnen Holzteilen das spätere Klangbrett zu erkennen.
Nachdem alle Teile verleimt sind, spannen wir alles mit Schraubzwingen fest. Nach kurzer Zeit ragen überall in der Werkstatt rote Schraubzwingengriffe in die Höhe. Nun heißt es erst einmal warten. Martin Kern nutzt die Zeit, um uns einige Stücke auf dem Klangbrett vorzuspielen und uns selbst spielen zu lassen. Manchem wird erst jetzt bewusst, wie genial die Idee von Martin Kern ist, denn das Klangbrett kann wirklich jeder sofort spielen. Dabei ist das Prinzip simpel. Über den hölzernen Klangkörper mit Schallloch werden 22 Saiten gespannt. Anders jedoch als das Hackbrett, wird das Klangbrett einfach mit den Fingern gezupft. Die wirkliche Besonderheit sind dabei aber die Spielvorlagen, auf denen die Stücke notiert sind. Diese werden einfach unter die Saiten geschoben. Anschließend muss der Spielende nur noch von links nach rechts die Saiten zupfen, unter denen die Noten angezeigt sind und schon erklingt das Lied. Einfacher geht es nicht.
Genau darum ging es Martin Kern. Schon als Student der Sozialpädagogik träumte er davon, die Musik als Medium zu nutzen, um so an die Menschen heranzukommen. Seine ersten Schritte in diese Richtung machte er dabei in einem Kinderhaus, wo er Hackbrettunterricht anbot. Doch so sehr die Kinder sich anfangs für den Musikunterricht begeisterten, so frustriert waren sie schnell. Denn das Spielen mit den Schlegeln erforderte viel Fingerspitzengefühl. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee zum Klangbrett. Heute führt Martin Kern nicht nur Kinder, sondern auch Senioren an das Instrument heran. Gleich, ob die Beweglichkeit eingeschränkt ist oder sich manche das Erlernen eines Instrumentes nicht mehr zutrauen: Mit dem Klangbrett ist das kein Problem. Heute setzt er es zur musikalischen Früherziehung, Sonder- und Heilpädagogik, Musiktherapie und bei der Arbeit in Seniorenresidenzen ein. Mehr als 260 Lieder gibt es bereits für das Klangbrett.
Darunter sind sowohl alpenländische Volkslieder oder europäische Folklore als auch Weihnachtslieder und diverse Popsongs. Es reizt Martin Kern, alle Möglichkeiten des Instruments auszuschöpfen. So gibt es sogar eine Variante des Klangbretts mit elektrischer Verstärkung. Damit kann man nicht nur vor größerem Publikum spielen, sondern auch den Klang mit diversen Effekten verändern. Vor Kurzem, so erzählt Kern, hätte er sogar die afghanische Nationalhymne für das Klangbrett adaptiert. Der Grund: Er arbeitet mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und die wünschten sich Lieder aus ihrer Heimat für das Klangbrett. So verschmolz alpenländischer Klang mit orientalischen Melodien.
Nach knapp einer Stunde ist der Leim getrocknet und wir können anfangen, die Seitenleisten anzubringen. Nachdem alle Holzteile verbaut sind, beginnen wir damit, alle Kanten rund zu schleifen. Anschließend werden die Drahtstifte in die Seitenleisten gehämmert, auf die später die Saiten aufgezogen werden, und die Gewinde festgeschraubt. Nach weiteren drei Stunden sind alle Teile fertig verbaut und abgeschliffen. Beim Aufziehen der Saiten hilft Martin Kern jedem von uns und stimmt die Saiten gleich. Damit ist das Klangbrett fertig und einsatzbereit. Mancher steht staunend vor dem Instrument, das die eigenen Hände geschaffen haben. Während die Sonne im Westen langsam verschwindet, erklingen in der Werkstatt bereits die ersten Lieder und schaffen so eine besondere Atmosphäre aus alpenländischem Klang und beeindruckender Bergkulisse. Kaum bin ich wenig später zu Hause angekommen, stürzt sich mein sechsjähriger Sohn auf das Instrument. Ich muss ihm nichts erklären. Seine Augen strahlen, als er das erste Lied fehlerfrei spielt – nach fünf Minuten.

Von Christian Mörken


15.06.2017 Griass di´ Allgäu